Ein Gespräch mit Thomas Willemeit, Lars Krückeberg und Wolfram Putz von GRAFT über ihre Planungen zusammen mit Marianne Birthler für den deutschen Beitrag der kommenden Architekturbiennale in Venedig
Ihr kuratiert gemeinsam mit Marianne Birthler, der ehemaligen Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin, den Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig 2018. Das Projekt heißt „Unbuilding Walls“. Was ist der Ansatz?
Thomas Willemeit: Der Beitrag des Deutschen Pavillons beschäftigt sich mit dem Prozess des Abbaus der Grenze, die das Land 28 Jahre geteilt hat. Der 5. Februar 2018 ist ja ein besonderes Datum – nach dem die Mauer länger verschwunden ist, als sie existierte. Beim Prozess dieses „Unbuilding“ ist deutlich geworden, dass es sich nicht einfach um eine trennende Linie zwischen zwei Seiten handelte, die dann plötzlich wieder verbunden waren. Diese Linie bildete einen Raum aus, nicht nur physisch und städtebaulich, sondern auch gedanklich; ein tatsächlicher breiter Streifen, belegt mit der Funktion des Todesstreifens, aus dem alle Erinnerung an vorher Gewesenes entfernt worden und der plötzlich als ein Vakuum in der Stadt vorhanden war.
Lars Krückeberg: Wir untersuchen, wie sich dieser Raum entwickelt hat und wie er sich hätte entwickeln können: Das war ein langer Prozess mit sehr unterschiedlichen Interessen und Perspektiven. In Venedig spannen wir den gesamten Bogen unterschiedlicher Haltungen: von „Die Mauer muss weg; wir wollen sie vergessen“, über „Wir wollen auch Orte der Erinnerung schaffen, um nachzuvollziehen, was diese Trennung für die Stadt bedeutet hat“, bis hin zur Inbesitznahme durch temporäre Nutzungen. Das Ganze ist aber auch ein Abbild der Befindlichkeiten – der gedanklichen Mauern wie des Bedürfnisses nach Verbindung, bei den Berlinern, bei der Bevölkerung des Landes, bei der europäischen Bevölkerung. Wo ist die Grenze in den Köpfen, warum gibt es sie überhaupt? Das ist der eigentliche Schwerpunkt der Suche.
Wie gewichtet ihr zwischen Retrospektive, Gegenwart und Visionen, die möglich sind oder gewesen wären?
Wolfram Putz: Das Hauptaugenmerk liegt auf dem, was wirklich passiert ist, weil man davon am meisten lernen kann – auch warum andere Träume nicht funktioniert haben. Das heißt nicht, dass wir nicht auch zwei, drei Utopien einbeziehen und ebenso thematisieren, wo und warum bestimmte Leerstellen immer noch nicht entwickelt wurden. Aber im Zentrum steht die Frage: Was bedeutet es, wenn man mit solch einer Geschichte konfrontiert wird und diese dann plötzlich vergeht? Wenn ein Mauerstreifen, der Stadt und Land geteilt hat, plötzlich als Bauland zur Verfügung steht, als eine zu heilende Wunde? Wir haben eine Mischung aus 28 Projekten, von 1990 bis zu heute noch im Bau befindlichen, ausgewählt und versuchen, ein repräsentatives Bild aller verschiedenen Arten von Beschlussfassung, Symbolik, Typologie und damit auch verschiedene Haltungen der deutschen Architekturdebatte darzustellen. Dazu zählen beispielsweise das Band des Bundes und der Reichstag – die bereits vielfach diskutiert wurden –, aber auch die derzeit auf dem Mauerstreifen entstehende Erweiterung der Springer-Zentrale von OMA.
Wie kam es zu der Kooperation mit Marianne Birthler?
Willemeit: Architektur und Stadtentwicklung sind ein Abbild dessen, wie sich die Menschen ihre Umgebung vorstellen – welche Erzählung sie davon entwickeln wollen, wie sie miteinander leben. Zwischenmenschliche Rituale, Sehnsüchte nach Privatsphäre, Ängste, Umgang mit Vergangenheit usw.: All das lässt sich im Stadtgrundriss, in Gebäudeformen und Baustilen ablesen. Für uns als Büro war Architektur nie eine autonome Disziplin, die sich aus der Geschichte ableitet und uns in ihrer Abstraktheit interessieren würde, sondern ein Werkzeug, ein Mittel des Ausdrucks und der Erzählung. Vor diesem Hintergrund ist der Vereinigungsprozess insofern spannend, als wir sagen, dass das auf diesem Streifen Geschehene etwas über die Gesellschaft erzählt. Dann sind wir bei Vereinigungssehnsüchten und Euphorie, bei Traumata und auch bei den Mauern in den Köpfen, die abgebaut werden. Marianne Birthler hat sich als ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde zehn Jahre lang intensiv mit Fragen von Transparenz und des Zugänglichmachens auseinandergesetzt. Wir hatten früh die Idee, sie anzusprechen, und sind sehr froh, dass sie dabei ist. Sie war nicht nur aktives Mitglied der Bürgerbewegung vor dem Mauerfall, sondern hat auch die Zeit der politischen Vereinigung intensiv miterlebt, war Ministerin in Brandenburg und ist ein unschätzbares Gegenüber in der Diskussion darüber, was Architektur zum Ausdruck bringt.
Welche Teile umfasst das Projekt? Wird es über die Ausstellung hinaus begleitende Diskussionen oder Ähnliches geben?
Putz: Es wird sicherlich auch Diskussionsformate geben, aber die Debatte, die über die reine Architektur hinausreicht, wird vor allem in einem Buch stattfinden, das parallel zur Ausstellung erscheint. Darin spannen zehn Gastbeiträge ein breites Feld auf, vom ehemaligen Senatsbaudirektor Hans Stimmann über Bruno Flierl, der einer der wichtigen Architekturkritiker in der DDR war, bis zu Scilla Elworthy, einer der wichtigen internationalen Friedensaktivistinnen. Sie hat im Kontext internationaler Konfliktherde intensiv zu diesem Thema geforscht: Was passiert, wenn der Frieden ausbricht und man die Mauern abbaut? Das ist eine der Debatten, die wir anstoßen wollen.
Krückeberg: Im Ganzen umfasst das Projekt drei Teile. Zum einen eine klassische Architekturausstellung, die aber auch die Mauer in den Köpfen abbildet. Zum zweiten einen Ausstellungsteil, der sich in Form von Interviews und Videos mit sechs internationalen Mauerstandorten beschäftigt. Derzeit reist ein Team nach Zypern, Israel, Korea, Nordirland, in die USA und zur europäischen Außengrenze der zwei spanischen Enklaven in Marokko. Dort fangen wir von Leuten beiderseits der Grenze Stimmen ein, wie sie zu dieser Gegenwart einer Mauer stehen. Den dritten Teil bildet das Buch.
Das Thema Unbuilding oder auch Building Walls wird in der Tat aktuell politisch kontrovers und zuweilen sehr scharf diskutiert, wenn man etwa an das Verhältnis USA – Mexiko bzw. an Europa und Migration denkt. Die Ausstellung soll demnach auch als Statement im größeren Kontext verstanden werden?
Willemeit: Ja. Wobei wir nicht den deutschen erhobenen Zeigefinger wollen. Wir denken, dass die 28 Architekturbeispiele für sich selbst sprechen. Auch die Interviews werden nicht mundgerecht zu einem didaktischen Pamphlet aufgearbeitet. Wir versuchen Kontext- und Spannungsbilder zu schaffen, aber die Auflösung können die Besucher selbst vornehmen. Nehmen wir das Beispiel Mexiko – USA. Es gibt Menschen, die absolut davon überzeugt sind, dass diese Mauer wichtig ist, und andere, die sie für den kulturellen Austausch als Katastrophe empfinden und als Abschluss einer geschichtlichen Entwicklung, in der die USA sehr von Einwanderungsprozessen profitiert und ihre Identität darüber geformt haben. Es gibt unterschiedliche Haltungen und wir sind nicht diejenigen, die darüber richten.
Profil
Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit sind Gründungspartner von GRAFT. Das Architekturbüro realisiert mit Büros in Berlin, Los Angeles und Beijing Projekte vom Produktdesign bis zum Städtebau. Gemeinsam mit Marianne Birthler kuratiert GRAFT den Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig 2018.