Ein Gespräch mit Gerhard Wittfeld und Kilian Kada von kadawittfeldarchitektur über die Folgen von Corona für das Arbeiten, das Wohnen, den öffentlichen Raum und die Planbarkeit unserer Städte.
Gerhard Wittfeld, Kilian Kada, die Pandemie hat unser Leben und Arbeiten verändert. Wenn wir auf das Arbeiten schauen: Welche Prozesse haben sich beschleunigt, welche Fragen oder vielleicht auch Chancen sind hinzugekommen?
Kilian Kada: Ein vielleicht überraschender Effekt ist, dass Entscheidungsfindungen schneller ablaufen. Die Krise hat die Digitalisierung vorangetrieben; Geschäfts- und Planungspartner sind technisch bestens ausgestattet; mediale Treffen sparen Zeit und schonen Ressourcen, erfordern eine bessere Vorbereitung aller Teilnehmer und eine präzisere Formulierung. All das sorgt für Effizienz in der Kommunikation und Lösungsfindung. Diese Fokussierung ist aber nicht ausschließlich positiv; das Arbeiten aus dem Homeoffice hat auch Grenzen. Räumliche und haptische Erfahrungen und informelle Begegnungen lassen sich nicht ersetzen. Sobald es um Verhandlungen, komplexe Themen und kreative Prozesse geht und viele Akteure beteiligt sind, wird es ohne physische Begegnung schwierig.
Deutlich wurde auch, was das für private Räume bedeutet: Viele Wohnungen sind für Homeoffice, Homeschooling und Lockdown völlig ungeeignet.
Kada: Die Krise hat gezeigt, was unverzichtbar ist und was überhaupt nicht geht. Auch wenn es zunächst nur ein Ideal ist: Erstrebenswert ist für möglichst viele ein privater Freiraum, der Balkon, der auch in Krisenzeiten genutzt werden kann. Wir müssen Mindestgrößen von Wohnungen überdenken, damit sich mehrköpfige Familien mit all ihren Bedürfnissen über längere Zeit gemeinsam zuhause aufhalten können, ohne dass es zu Katastrophen kommt. Besonders von der Krise betroffen ist der soziale und geförderte Wohnungsbau. Hier sind dringend neue Konzepte zu entwickeln, gleichzeitig bedürfen die Normen dafür einer Novellierung.
Gerhard Wittfeld: Das soziale Bewusstsein für das Wohnen hat sich weiter verändert. Die Nachfrage wird sich ändern und damit idealerweise langfristig das Angebot. Da müssen Kommunen, Bauherren und Architekten sicherlich gleichermaßen umdenken. Generell betreffen die Entwicklungen den individuellen Wohnraum, aber auch Trends, die schon vor der Krise da waren, wie etwa Räume für shared communities.
Diskutiert wird insbesondere die Entwicklung der Städte – Fragen der Mobilität, der Nutzung der Räume, der Innenstädte mit Läden, Bars, Restaurants. Inwieweit hat sich unsere Wahrnehmung von Stadt geändert?
Kada: In unseren Innenstädten herrscht mancherorts schon Endzeitstimmung mit massiven Leerständen, die sich noch steigern werden. Das ist höchst problematisch und birgt gleichzeitig Potentiale, weil wir über die Umnutzung von Bauten etwa für dringend benötigten Wohnraum nachdenken können und müssen. Das kann zu einer Mischung führen, die mit Gewerbe, Wohnen, Freizeit und Kultur oder mehrfach gemeinsam genutzten Räumen Lebendigkeit schafft. Die ‚Stadt der Nähe‘, in der wichtige Funktionen leicht erreichbar sind, ist auch eine Stadt der Resilienz.
Wittfeld: Durch veränderte Ansprüche an Erreichbarkeiten scheint zugleich der Verstädterungstrend ein bisschen aufgehalten. Wenn wir nicht mehr täglich zur Arbeit fahren, ist die zentrale Wohnlage weniger relevant. Land oder Vorstadt locken mit reichlich Grün, gesunder Luft und dem in Krisenzeiten so elementaren Freiraum. Die Corona-Krise hat aber auch gezeigt, dass das Zusammenleben in der Stadt alles andere als anonym sein muss und es große Solidaritäten in den Quartieren gibt. Auch innerstädtische Grünflächen und öffentliche Plätze erhalten eine andere Aufmerksamkeit.
Die Krise hat eine öffentliche politische Kultur nicht neu erfunden, aber durch Auseinandersetzungen um die Maßnahmen gefördert. Es gab fast von Beginn der Pandemie an die gesteuerte Umnutzung von Straßenraum, aber ebenso illegale Partys, auch Ausschreitungen. Sehen wir grundsätzlich ein Revival des öffentlichen Raums?
Wittfeld: Unbedingt. Nach leergefegten Straßen und Plätzen zu Zeiten des ersten Lockdowns konnten wir umgewidmete Flächen beobachten – Parkstreifen, die für Außengastronomie genutzt wurden, oder Autospuren, die als Radweg dienen. Proteste, die Unzufriedenheiten in der Bevölkerung zeigen, oder illegale Partys, die ein Übermaß an gefühlter Einengung kanalisieren, signalisieren Handlungsbedarf. Vor allem aber hat sich die Wertschätzung für den öffentlichen Raum geändert, auch weil er plötzlich durch Lockdown gesperrt oder nur noch mit Auflagen nutzbar war. Die Menschen haben das Draußensein neu entdeckt. Damit wird die ohnehin durch Klimawandel und geänderte Lebensgewohnheiten gestiegene Beanspruchung des öffentlichen Raums weiter intensiviert.
Die Planbarkeit von Räumen scheint plötzlich generell relativiert. Routinen und Annahmen wurden massiv erschüttert. Geht es künftig mehr denn je um Flexibilität? Wie erhöht man die Reaktionsfähigkeit der planerischen Disziplinen – und jene der Häuser, der Städte?
Kada: Es geht um Flexibilität, aber nicht im Sinne von Effizienz, mit der sie bislang viel zu häufig verwechselt wurde. Hier muss ein Umdenken stattfinden, das Flexibilität im Sinne von Wandelbarkeit versteht. Corona zeigt uns, dass „höher, weiter, dichter“ der falsche Ansatz ist, dass Freiraum wichtig ist – eine räumliche Großzügigkeit, die Begegnung mit Abstand erlaubt. Wir fühlen uns bestätigt darin, dass es Räume geben muss, die über das klassische Raumprogramm und die funktionale Bestimmung hinaus ihren Nutzern zur Verfügung stehen. Egal ob wir von informellen Zonen im Bürobau sprechen, dem Gäste- oder Arbeitszimmer in der Wohnung, dem Gemeinschaftsraum oder -garten im Mehrparteienhaus. Das reicht bis zu dem bei Sonne nutzbaren ,Klassenzimmer im Schulgarten‘ oder der als Auditorium nutzbaren Freitreppenanlage vor dem Museums- oder Bürobau.
Wittfeld: Das allgemeine Bewusstsein hat sich geändert und das ist unsere Chance! Die Krise hat ihre Finger in viele kleine Wunden gelegt. Dazu gehört auch Nachhaltigkeit. Sie schließt ein, dass wir nicht weiter Gebäude abreißen können, nur um an gleicher Stelle wieder ähnliches zu bauen. Wenn sich jetzt Nutzungen verschieben – wie etwa leerstehende Büros, die in Wohnraum umgewandelt werden – wird das Thema der Umnutzung ein größeres Thema für uns Architekten werden. Und die Krise hat gezeigt, dass Orte der tatsächlichen Begegnung wichtig sind, dass öffentlicher, halböffentlicher und privater Freiraum wichtig ist. Wenn alle isoliert sind und sich viel häufiger nur noch digital begegnen, sind diese Räume umso entscheidender.
Profil
Gerhard Wittfeld und Kilian Kada sind Partner im Büro kadawittfeldarchitektur, das 1999 in Aachen von Klaus Kada und Gerhard Wittfeld gegründet wurde. Die Arbeit des Büros mit mittlerweile rund 150 Mitarbeitern in Aachen, Berlin und München wird geprägt durch einen dialogischen und interdisziplinären Ansatz, der Architektur, Innenarchitektur und Design sowie unterschiedliche kulturelle Disziplinen verbindet. Schwerpunkte des vielfach ausgezeichneten Werks von kadawittfeldarchitektur liegen u.a. bei Wohn- und Bürobauten, Messeprojekten und Museen.
www.kadawittfeldarchitektur.de
Coverportrait, Gerhard Wittfeld und Kilian Kada, Foto: Carl Brunn